Meine Sprache hat etwas damit zu tun, wer ich bin. Natürlich. Aber wie hängen Sprache und Identität
zusammen? Und was sind die Schwierigkeiten, die aus diesem Zusammenhang entstehen können?
Was bedeutet Sprache?
Sprache ist ein typisch menschliches Zeichensystem, das Kommunikation ermöglicht. Sie ermöglicht es uns, Gedanken, Gefühle und Wünsche auszutauschen, und zwar mit Hilfe eines Systems von sprachlichen Zeichen (Wörter, Wortteile, Buchstaben; im Fall der Gebärdensprache: Gebärden). Menschen können Sprache nutzen, um Informationen an andere weiterzugeben, Gefühle auszudrücken und um Beziehungen zu gestalten und darzustellen.
Sprache ist aber gleichzeitig ein Mittel, Zugehörigkeit auszudrücken – wir nutzen sie, um zu zeigen, welche Menschen wir mögen und um zu zeigen, wer Teil einer Gruppe ist und wer nicht. Mit Hilfe der Sprache kann Macht ausgeübt werden, und sie kann genutzt werden, um Menschen auszugrenzen. Sprache ist einer der wichtigsten Wege, über die wir unsere kulturelle Umwelt und unsere Mitmenschen wahrnehmen.
Durch Sprache(n) lernen und entwickeln wir unsere eigene Identität – wir lernen was „ich“ heißt, und gestalten wer „ich“ bin. Parallel dazu erkennt ein Kind, eingebettet in ein sprachliches Umfeld, soziale Identitäten. Es lernt, in verschiedenen Kontexten – und eventuell auch verschiedenen Sprachen – „wir“ zu sagen. Das alles passiert eben in einer (oder in manchen Fällen in zwei oder drei) bestimmten Sprache(n). Das ist der Grund, wieso Sprache(n) von der Kindheit an eng verknüpft ist/sind mit dem Gefühl von Identität, mit der Idee davon wer und wie ich bin oder nicht bin.
Weltweit gibt es etwa 6500 verschiedene Sprachen, die in den verschiedensten Konstellationen mit den Identitäten von über sieben Milliarden Menschen verknüpft sind. Interessanterweise spricht aber der Großteil der Weltbevölkerung fast täglich mehr als nur eine Sprache. Diese Tatsache zeigt schon, dass Sprache und Identität nicht einfach in einer eins-zu-eins-Beziehung zueinander stehen. Die Identität einer Person hängt nicht am Beherrschen einer Sprache, sondern ist in ein Netz von Sprachen und Kulturen eingebettet.
Mehrsprachigkeit und Identität
Mehrsprachigkeit ist ein viel weiter verbreitetes Phänomen als oft angenommen wird: In der Sprachwissenschaft wird bereits von „innerer Mehrsprachigkeit“ gesprochen, wenn Sprecher/innen in ihrer Lebenswelt verschiedene Sprachvarietäten verwenden. Wenn ein Kind zum Beispiel zuhause Dialekt spricht und in der Schule die Standardsprache verwendet, dann zeigt das schon kommunikative Kompetenz in zwei verschiedenen Varietäten. Wenn tatsächlich zwei verschiedene Sprachen gesprochen werden, wird der Begriff „äußere Mehrsprachigkeit“ verwendet. Oft werden die verschiedenen Sprachen in verschiedenen Teilen der Lebenswelt beziehungsweise mit verschiedenen Bezugspersonen verwendet. Durch die unterschiedlichen Kontexte, in denen Kinder die einzelnen Sprachen verwenden (und so erst lernen), hat jede einzelne Sprache auch eine ganz spezielle Verbindung zu einzelnen Komponenten der Identität.
Identität heißt vor allem Eins-sein mit sich selbst. Ich weiß wer ich bin, und es gibt ganz viele Eigenschaften, die mich beschreiben können. Jede dieser Eigenschaften ist ein Teil meiner Identität. Im Laufe des Lebens, beziehungsweise in verschiedenen Situationen, sind oft verschiedene Aspekte meiner Persönlichkeit wichtiger oder weniger wichtig: Wenn ich in meiner Jungscharstunde ein Spiel anleite bin ich vor allem Gruppenleiterin, wenn ich bei meiner Oma zu mittag esse, bin ich hauptsächlich Enkelin, und bei einer Prüfung auf der Uni steht wohl eher meine Identität als Anglistik-Studierende im Vordergrund. Auch die Sprachen, die ich spreche und mit denen ich mich identifiziere sind in meinem Leben von wechselnder Bedeutung – in meiner Arbeit im Jungscharbüro ist meine Identifikation mit dem Englischen beispielsweise selten im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Dass jede Identität aus vielen kleinen Bausteinen zusammengesetzt ist, heißt grundsätzlich, dass es verschiedene Sprachen nicht verschiedene Identitäten bedingen, sondern dass jede Sprache, die ich beherrsche, ein en weiteren Aspekt meines „Persönlichkeits-Puzzles“ darstellt. Eine Erstsprache ist eben nicht gleichbedeutend mit einer Identität, sondern ein Teil der komplexen Persönlichkeit jedes Menschen. Genau das ist Menschen aber selten bewusst. Durch Migration, gerade in europäischen Einwanderungsländern, rückt die Komponente der Erstsprache eines Kindes oft sehr weit in den Vordergrund und lässt andere Aspekte der Identität im Schatten. Anstatt aufgrund seines Namens, seiner Vorlieben oder Fähigkeiten erkannt zu werden, erleben Kinder mit einer anderen Erstsprache als Deutsch in Österreich oft, dass sie auf die eine Eigenschaft, nämlich „türkisch“ oder „serbisch“ reduziert werden, was natürlich für eine gesunde Entwicklung von Persönlichkeit und Identitätsgefühl wenig förderlich ist.
Gleichzeitig ist die Koppelung „meine Sprache – meine Identität“ einer der Gründe, wieso Menschen eine Abwehrhaltung gegenüber dem Lernen neuer Sprachen entwickeln. Wenn ich der Meinung bin, dass ich nur die eine oder die andere sprachliche Identität haben kann, dann wird es wohl niemanden wundern, dass ich die, die ich jetzt schon habe, nicht gegen eine neue, fremde Sprache tauschen will. Damit eine neue Sprache gelernt werden kann, ist es also wichtig, dass sie nicht als Bedrohung für die Identität wahrgenommen wird, sondern als Erweiterung des persönlichen Horizonts, was Identitäten sogar eher stärkt als schwächt.
Wir leben in einer vielstimmigen Welt!
Wir leben in einer Welt, in der 7 Milliarden Menschen über 6500 Sprachen sprechen. Verschiedene Sprachen können uns unterschiedliche Seiten der Welt zeigen, und gleichzeitig Perspektiven auf die Welt und uns selbst eröffnen. Es ist wichtig, dass wir uns und andere immer wieder daran erinnern, dass neue Sprachen eine großartige Gelegenheit sind, unsere Identität zu erweitern!
Nani Gottschamel
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sprachen_der_Welt.png?uselang=de-at
http://eak.phst.at/uploads/media/Vortrag_Mag._Fleck_Sprache_und_Identitaet.pdf
http://tübi.com/dil-ve-kimlik-prof-dr-hans-jurgen-krumm-sprache-und-identitt--1294.html
http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-08-2-3/docs/Krumm.pdf
kumquat "Sprache" 4/2014