Kreativität

von alten Wegen und neuen Ideen …

Kreativität ist ein sehr vielschichtiger, komplexer Begriff – verschiedene Definitionsversuche beziehen sich auf die „schöpferische Kraft“ (Duden), die „Fähigkeit, etwas […] Neues zu kreieren“ (Wikipedia, deutsch), und die tatsächliche Produktion von etwas brauchbarem Neuem (Wikipedia, englisch).

An anderer Stelle wird betont, dass Kreativität ein komplexes Verhaltensmuster ist. Es geht nicht nur darum, was am Ende des Prozesses rauskommt, sondern auch (und vor allem) darum, wie etwas zustande kommt. Kreativ sein heißt also nicht nur, etwas Schönes zeichnen oder malen zu können (obwohl diese Bedeutung im Alltag oft vorherrscht), sondern bezieht sich auf alle Zusammenhänge unseres Lebens. Etwas Neues machen heißt vor allem, etwas zu schaffen was ich vorher noch nicht so gesehen oder gedacht habe – also aus den Strukturen auszubrechen, die ich bisher kenne. Damit bewegen wir uns in jeder Lebenslage in einem Spannungsfeld zwischen Anpassung (an Erwartungen, Strukturen, Bekanntes und Gewohntes) und Kreativität.

Unser Gehirn und das Neue

Damit ich etwas Neues in die Welt setzen kann, was vorher noch nicht da war, muss ich es mir natürlich zuerst einmal vorstellen können. Das heißt, um kreativ zu sein und Neues zu erschaffen brauche ich vor allem ein kreativ arbeitendes Gehirn. Besonders interessant ist es, dass unsere Gehirne oft dann nicht besonders kreativ sind, wenn wir uns extra anstrengen, sondern viel eher in Situationen, in denen wir entspannt und druckfrei, ohne große Erwartungen oder Ziele, nachdenken.

Genau auf diese Art verwenden Säuglinge ihr Hirn eigentlich immer – sie haben ja noch keine Vorstellungen davon, wie etwas „sein sollte“ oder welche Ziele sie ansteuern sollten. Bevor ihnen das jemand beibringt, haben Kinder noch keine Idee davon, wozu ein Ding da ist. Dass Buch da ist, um es vorgelesen zu bekommen erscheint ihnen wohl in etwa genau so sinnvoll, wie Spaß daran zu haben, dass es raschelt wenn man es schüttelt, oder das Geräusch und Gefühl von reißendem Papier zu genießen.

Im Lauf unseres Lebens und der Erziehung, die wir durchlaufen, gewöhnen wir uns an ganz spezifische Verhaltensmuster, die sich auch in unserem Hirn abbilden. Wir lernen, auf eine ganz bestimmte, an unsere kulturelle Umgebung angepasste Art zu denken („Bücher sind zum Lesen da, nicht zum Spielen!“), und das bildet sich auch in den Strukturen unseres Gehirns ab. Diese bekannten Muster sind durchaus sinnvoll, denn sie ermöglichen uns, schnell auf Problemstellungen zu reagieren und so müssen wir nicht jedes Mal das Rad neu erfinden. Die eingefahrenen Muster werden in unserem Gehirn vor allem auch dann abgerufen, wenn wir Druck oder sogar Angst empfinden – denn dann versuchen wir, möglichst schnell und auf vertrauten Wegen wieder in ein psychisches Gleichgewicht zu kommen. Genau das verhindert offenes und ungezwungenes Denken – und oft auch das Finden von möglicherweise sinnvolleren Lösungen.

Im Gegensatz dazu ist das Spiel, als entspannte und angstfreie Beschäftigung in einem vertrauten Rahmen, eine sehr funktionale Art des kreativen Denkens, die vor allem in der Erlebniswelt von Kindern sehr viel Zeit und Raum einnimmt.

Im Spiel ja, im „richtigen“ Leben nein

Kinder sind – wie bereits beschrieben – in ihren Denkweisen noch nicht so festgefahren. Sie probieren vieles aus und lassen ihren Ideen freien Lauf. Anders bei Erwachsenen, die mit bestimmten Verhaltens- und Denkmustern vertraut sind und sich – oft auch rein aus Gewohnheit – daran halten.

Die wohl bekannteste „Kreativitätsspezialistin“ schneidet die Spaghetti einfach mit der Schere ab und sucht schnell nach etwas, was ein Spunk sein kann. Ihr habt es wohl schon erraten: Pippi Langstrumpf, Heldin vieler Kinder und Erwachsener. Sie fragt nicht lange, was sie darf und wie sie etwas machen soll, sondern tut es einfach.

Genauso halten es viele Kinder im Spiel: sie erfinden neue Möglichkeiten, neue Spielformen, neue Gegebenheiten. Oft kommen die Spielenden dann bei manch Außenstehenden als verrückt an, was dann aber akzeptierend hingenommen wird. Ganz anders verhält es sich im „richtigen“ Leben, also außerhalb des Spiels. Da ist Kreativität sehr oft nicht erwünscht, für Kinder ist diese Grenze zwischen „Wirklichkeit“ und „Spiel“ aber noch viel fließender. Ein Kind, das im Supermarkt ein tolles Spiel, wie etwa Bierdosenkegeln oder Mozzarellaweitwurf erfindet, fällt den meisten Menschen – so behaupte ich mal – eher unangenehm auf.

Kreativität im Alltag

Es gibt also Situationen, wo Kreativität erwünscht ist und andere, wo sie das nicht ist. Oft spielen sich diese Konflikte auf einer viel kleineren Ebene statt: Unzählige Male hören Kinder Sätze wie „Na, so gehört das aber nicht!“ – wenn die Haube mit der Naht nach vorne aufgesetzt wird, blaue Bauklötze in der Spielküche zur leckeren Zucchini-Suppe werden, oder Socken in der Spielzeugkiste weggeräumt sind.

Natürlich gibt es Orte und Zeitpunkte, die weniger geeignet für derartige Spielerfindungen sind – auf der Straße kann es beispielsweise schnell gefährlich werden, wenn neue Fangspiele erfunden werden. Trotzdem sollten wir darauf achten, Kindern Räume zu bieten, wo sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. Damit meine ich nicht nur die übliche Bastel- und Malstunde, sondern vielmehr auch die alltägliche Kreativität, die es zu bewahren gilt. Gegenstände, die uns sehr vertraut sind, können auch mal ganz anders verwendet werden, ein Spiel kann auch mal mit ganz anderen Regeln ausprobiert werden usw. Vielleicht können wir ja einmal versuchen die üblichen „Damit spielt man nicht!“ oder „Du spielst damit nicht richtig!“ -Vorstellungen über Bord zu werfen und auch unübliche Verwendungszwecke oder Vorgehensweisen gelten zu lassen.

Und die Moral von der Geschicht…

Kreativität heißt also raus aus dem Altbekannten, rein ins Neue! Es heißt alte, gewohnte Denkmuster auch mal zu vergessen oder Dinge bewusst anders zu tun. Nicht nur Kinder dürfen kreative Ideen entwickeln, auch ihr als Gruppenleiter/innen stoßt bestimmt auf Begeisterung mit ausgefallenen Ideen.

… richtig und falsch gibt es hier nicht!

Nani Gottschamel, Johanna Walpoth

Quelle, zum Weiterlesen:
Gerald Hüther, Die neurobiologischen Voraussetzungen für die Entfaltung von Neugier und Kreativität.
Tim Brown, Tales of Creativity and Play (ted.com)

kumquat "kreativ" - 1/2016