Mein Gott und meine Entwicklung

Wie sich das Gottesbild bei Kindern und Jugendlichen verändert

Die Beziehung, die ein Mensch zu Gott aufbaut, ist eine sehr persönliche Sache. Keine zwei Menschen auf dieser Welt haben genau dasselbe Verhältnis zu Gott. Jeder Mensch gestaltet sein Bild von Gott, seinen Glauben selbst. Bei diesen unzähligen Arten, sich Gott zu nähern oder auch nicht, wird es solche geben, die dem eigenen Konzept ähnlicher sind als andere, aber es gibt keine besseren oder schlechteren!

Der „liebe Gott“ der Kindheit
Die Entwicklung des Gottesbildes und damit auch die des Glaubenszugangs hängt auch von der kognitiven Entwicklung ab: Die Herangehensweise eines Kindes an die Welt und wie es die Welt entdeckt ist dieselbe, wie sich das Kind Gott nähert. Religion wird also von Kindern „umgebaut“, sie entwickeln ihre eigenen Gottes“konzepte“.
Oft hört man von dem tragischen „Glaubensverlust“ am Ende der Kindheit (ungefähr mit Ende der Volksschule), aber diese Phase ist viel eher als Umbau zu bezeichnen, der nach außen hin vielleicht ähnliche Anzeichen wie ein Verlust mit sich bringt. Die bis zu diesem Zeitpunkt plausiblen mythischen Vorstellungen von Gott, der im Himmel wohnt, werden hinterfragt. Und da es ja nicht realistisch ist, dass ein Mann in den Wolken sitzt und die Menschen beobachtet, wird dieses Gottesbild klar abgelehnt. In dieser Phase entstehen abstraktere, mehrdimensionale Gottesbilder. Viele Kinder dieser Altersstufe sagen, dass sie nicht wissen, was sie und wie sie glauben sollen.

Gott als Baustelle
Später wird Gott von vielen als Gefühl, als etwas Gutes im Menschen bezeichnet. Wie in anderen Bereichen des Lebens auch beginnen die Nicht-mehr-Kinder und Noch-nicht-Jugendlichen über vieles nachzudenken, und können dabei mehrere Aspekte zugleich bedenken. Kindern ist diese Denkleistung aufgrund ihrer Entwicklung einfach noch nicht möglich.
Weiters ist zu beachten, dass das Gotteskonzept eines Menschen auch mit dem Selbstkonzept zusammenhängt. Bei sehr vielen Jugendlichen spielen die Freund/innen eine große Rolle für das Bild, das sie von sich selbst haben: „Ich bin das, was andere spiegeln“. So ist also auch Gott das, was ich oder andere in ihn hineinlegen.
Am Ende der Kindheit kommt es bei vielen zu einer „Entmaterialisierung des Unsichtbaren“: Gott ist wie ein Geist.

Gott ist (probehalber) in den Jugendlichen
Am Übergang zum Jugendalter kommt es zu einer Verinnerlichung des Unsichtbaren: Gott ist in jedem Menschen.
Mit der Jugend kommt eine Neuorientierungsphase in den verschiedensten Bereichen. Dabei distanzieren sich viele Jugendliche von der Kirche und nehmen eine kritische Position außerhalb dieser ein. Gerade diesen distanzierten Blick von außen, diesen Abstand braucht es, um sich ein Bild davon machen zu können. Oft wird diese Distanz probehalber eingenommen um zu sehen, wie das so ist, wenn man sich distanziert. Häufig wird auch die Nähe zur Kirche gesucht, um diese mit kritischem Blick kennen zu lernen. So unsicher alles in dieser Entwicklungsphase auch ist, das einzig sichere ist, dass das Verhältnis, das im Moment zur Kirche und zu Gott besteht, so bestimmt nicht bleibt.
Dieses Ausprobieren, wie nahe man der Kirche und Gott sein will ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung zu einer persönlichen Gottesbeziehung
Wenn Kinder sich zu Jugendlichen entwickeln, suchen sie oft nach einem passenden spirituellen Angebot. Wenn sie keiner ihnen bekannten Religion zustimmen können, bedeutet das keinesfalls, dass sie areligiös sind. Kirchennähe ist also nicht mit Religiosität gleich zu setzen.

Du hast „deinen“ Gott und deine Kinder einen „anderen“
Was bedeutet das für die Gruppenstunden in der Pfarre, wo Menschen mit völlig unterschiedlichen Gottesbildern und in ganz verschiedenen Lebensphasen sich gemeinsam mit Gott beschäftigen?
Kinder machen erste religiöse Erfahrungen und stellen häufig Fragen. Jugendliche beginnen zu hinterfragen und sich neu zu orientieren. Viele von euch werden die Zeiten des Zweifelns wahrscheinlich kennen. Von dem Zweifel ist meist kein Lebensbereich ausgenommen, also auch nicht die Religiosität. Muss man religiöse Gruppenstunden machen, wenn man selber grad gar nicht an Gott glaubt, und alles, was damit zu tun hat bezweifelt?

Sei du!
Ich finde es sehr wichtig, sich gerade im religiösen Bereich von niemanden zu etwas zwingen zu lassen, was man selbst gar nicht gut findet. Diese persönliche Freiheit sollte vor allem in Pfarren geachtet werden.
Statt einer Gruppenstunde, in der die Bibel dezidiert vorkommt, kannst z.B. eine Gruppenstunde zum Thema Rücksicht oder einem anderen „biblischen Wert“ machen, der für dich wichtig ist und mit dem du dich mit deinen Kindern gerne auseinandersetzen möchtest. (Eine Gruppenstunde zum Thema Rücksicht findest du in der Gruppenstundendatenbank unter http://wien.jungschar.at/modelle ).
Wenn die Kinder dich nach deiner Meinung fragen, solltest du ihnen ehrlich und so antworten, dass sie etwas damit anfangen können und es verstehen.
Gerade in dieser allgemeinen Orientierungsphase kann es sehr spannend sein, in der Kindergruppe verschiedenes auszuprobieren, wie z.B. einen Tanz oder ein Gebet. Das heißt nicht, dass du das Gebet, das du ein Mal am Ende der Stunde gesprochen hast, jedes Mal durchführen musst. So kriegen auch deine Kinder mit, dass Religiosität etwas ist, das sich verändert und dass man sich Gott nicht immer gleich verbunden fühlt.

Ich will euch ermutigen, euch den eigenen Fragen und den Fragen der Kinder zu stellen, auch wenn das nicht immer ganz leicht ist. Es gibt viel Spannendes zu entdecken!

Sabine Kräutelhofer