Angst

Angst gehört zu unserem Leben wie das Atmen oder die Freude. Ein Leben ganz ohne Angst ist nicht vorstellbar. Alle Versuche, Angstphänomene zu verstehen, können diese nicht abwenden. Sie können eine Hilfe sein, mit der Angst umgehen zu lernen. Und das ist sehr wichtig, denn eines ist sicher: Angst ist eines der bedrohlichsten Gefühle, die es gibt. Darum muss sie auf jeden Fall ernst genommen werden.

Verschiedene Aspekte eines Phänomens

Angst hat zwei wesentliche Aspekte: Sie kann uns aktiv machen, sie kann uns aber auch lähmen. Wenn ein Mensch Angst verspürt, dann ist das ein Signal für ihn, das ihm sagt: „Achtung, du bist in einer Situation, mit der du möglicherweise nicht umgehen kannst!“ Angst ist also eine Warnung vor möglichen Gefahren. Diese Warnung kann zweierlei Aktivitäten hervorrufen: entweder flieht der Mensch aus der Situation der Gefahr, der er sich nicht gewachsen fühlt, oder er tut etwas, um die Situation zu bewältigen und die Angst zu überwinden. Eine psychische Strategie zur Überwindung von Angst ist aggressiv zu werden – also im wertneutralen Sinn „auf etwas zuzugehen“, aktiv werden, handeln. Sieht ein Mensch für sich keine Möglichkeit, eine Angst Situation zu bewältigen oder sich von ihr zu entfernen, dann fühlt er sich durch seine Angst wie gelähmt.

Oft werden lähmende Ängste auch dadurch hervorgerufen, dass Menschen in Situationen gebracht werden, die für sie unnatürlich sind oder die ihre Entwicklung behindern. Besonders bedrohlich sind für Menschen Situationen, in denen sie selbst nichts zu einer Veränderung zum Positiven beitragen können. Menschen absichtlich in Angst zu versetzen und es ihnen unmöglich zu machen, sich aus der angstvollen Situation zu befreien, bezeichnet man als „Terror“.

Grundlagen zur Bewältigung von Angst

Da Angst ein Zustand der Anspannung ist, ist die grundlegendste Hilfe gegen die Angst, sich zu entspannen – das ist eine in uns angelegte automatische Reaktion. Da Lachen ein körperlich entspannender Vorgang ist, passiert es häufig, dass Menschen in angespannten Situationen (wenn sie nervös sind oder sich fürchten) lächeln oder lachen. Das ist im Zusammensein mit Kindern deshalb wichtig zu wissen, damit man das Lachen der Kinder nicht automatisch als Freude an der Situation einordnet.

Wenn z.B. ein Kind bei der Erprobung eines neuen Spiels unsicher und ängstlich ist, dann hilft es ihm, wenn sich jemand zu ihm gesellt, ehrliches Verständnis für diese Unsicherheit hat und mit ihm gemeinsam die zu bewältigende Aufgabe löst. Neben Entspannung ist Zuwendung eine wichtige Grundlage zur Bewältigung von angstbesetzten Situationen. Sich einem Kind zuzuwenden heißt, seine Angst unbedingt ernst zu nehmen und bereit zu sein, offen über sie zu reden.

Wovor Kinder Angst haben

Kinder können so wie Erwachsene vor den unterschiedlichsten Begebenheiten und Dingen Angst haben. Allgemein haben Kinder Angst vor dem Alleinsein bzw. dem Verlassenwerden. Sich von geliebten Personen oder wichtigen Gegenständen zu trennen, kann große Unsicherheit im Kind auslösen. Oft ist diese Angst so groß, dass darüber viel Negatives in Kauf genommen wird, das im Zusammenleben mit ebendiesen Personen passiert.

Heutzutage wird die Angst der Kinder vor großräumigen Bedrohungen, die für sie nicht bewältigbar sind, immer stärker: Angst vor der Zerstörung der Umwelt oder vor Kriegen stehen hier an oberster Stelle. Bilder, mit denen sie tagtäglich in den Nachrichten konfrontiert werden und die sie nicht einordnen können. Gerade mit diesen Ängsten werden Kinder von Erwachsenen meist allein gelassen werden.

Doch nicht nur konkrete Ängste sind anzutreffen. Die Fantasie spielt im Leben der Kinder noch eine viel größere Rolle als bei Erwachsenen. Kleine Kinder sind entwicklungsbedingt auch noch nicht in der Lage, Fantasie und Realität zu unterscheiden und getrennt voneinander zu denken. Das ist Quelle einer unabsehbaren Zahl von Kinderängsten. Kind sein bringt also viele (auch unerkannte) Ängste mit sich, da braucht es nicht auch noch Erwachsene, die ihnen absichtlich zusätzlich Angst machen – besonders solche, denen sie vertrauen.

Für die Jungschar Arbeit heißt das, dass…

  • Kindern niemals absichtlich Angst gemacht werden darf.
  • die Ängste der Kinder immer wahr- und ernstgenommen werden müssen.
  • versucht wird, die Ängste der Kinder zu verstehen.
  • Kinder in ihrer Angst niemals allein gelassen werden.
  • Kindern, die Angst haben, die Zuwendung der/des Gruppenleiter/in geschenkt wird.
  • bei neuartigen Abläufen den Kindern die größtmögliche Orientierung geboten wird, um ihnen unnötige Unsicherheiten zu ersparen (z.B. vor einer Aktion genau darüber informieren, was dabei geschehen wird, wer dabei sein wird, etc.).
  • bei spannenden Aktivitäten gezielte Maßnahmen zur Entspannung eingeplant werden.
  • Situationen zu vermeiden sind, in denen ein Kind vor den anderen bloßgestellt werden könnte.
  • den Kindern in der Bewältigung ihrer Ängste ausreichend Zeit gegeben wird
  • Kinder niemals gedrängt werden, ihre Ängste zu ignorieren (was etwa der Fall wäre, wenn ein/e Gruppenleiter/in sagte: „Ach was, das ist alles nicht so schlimm; beiß die Zähne zusammen!“ oder auch „Stell dich nicht so an!“).
  • Kinder nicht in schwierige Situationen gebracht werden, für die sie selbst keine Lösungen oder aus denen sie keinen Ausweg finden können.
  • Kinder vor angsterzeugendem Gruppendruck geschützt werden (z.B. dann, wenn ein Kind einer Gruppe deshalb an einer Aktivität teilnimmt, weil es sonst zum/r Außenseiter/in würde, auch wenn ihm/ihr die Aktivität an sich Angst macht).

Auch Gruppenleiter/innen können in ihrem Zusammensein mit Kindern Angst haben: Davor, sich nicht durchsetzen zu können, von den Kindern nicht gemocht zu werden, den eigenen und fremden Anforderungen nicht zu entsprechen, vor unbekannten Situationen oder vor der großen Verantwortung für die Kinder. Damit diese Ängste nicht auf die Kinder übertragen und diesen zur Last gelegt werden, ist es wichtig, dass die Gruppenleiter/in ihre eigenen Ängste wahrnehmen und reflektieren und schließlich mit ihnen umgehen lernen. Diese Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten macht gleichzeitig auch sensibel für die Ängste von Kindern – die, die sie zeigen und die versteckten.

Sandra Fiedler
(nach einem Text vom Arbeitskreis für Kinderpastoral- und Pädagogik der Katholischen Jungschar Österreichs)

kumquat "Angst" 4a/2013