„himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt“

…und was das mit der Pubertät zu tun hat.

Im Drama „Egmont“ von Johann Wolfgang von Goethe singt Klärchen im Dritten Aufzug:

Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein;
Hangen und bangen in schwebender Pein;
Himmelhoch jauchzend, zu(m) Tode betrübt;
Glücklich allein ist die Seele, die liebt.


Die Erwähnung von „himmelhoch jauchzend, zu(m) Tode betrübt“ wurde von da (1787) an zum geflügelten Wort. Stand hier noch im Mittelpunkt der Gefühlsverwirrungen und Stimmungsschwankungen das Thema Liebe, wird heutzutage der Ausdruck „himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ viel weiter verwendet, in den letzten Jahrzehnten im Zusammenhang mit manisch-depressiven Erkrankungen. Sehr verkürzt beschrieben handelt es sich dabei um eine psychische Erkrankung, bei der die Betroffenen unter starken Stimmungsschwankungen leiden, welche in depressiven Phasen durch eine extrem gedrückte Stimmung, Unwohlsein und Lustlosigkeit, in manischen Phasen durch rastlose Aktivität und Unruhe, ständig neue Ideen und Verlust von Hemmungen, gekennzeichnet ist.

Stimmungsschwankungen, die erste
Stimmungsschwankungen kennen wir alle - in unterschiedlichsten Situationen, Ausprägungen, in Zusammenhang mit den verschiedensten Menschen und auch in jedem Alter. Bei Kleinkindern zeigen sich Stimmungsschwankungen oft dann, wenn sie mit neuen Realitäten konfrontiert werden, die sich mit „ihrer Welt“ (noch) nicht vereinbaren lassen. Kinder müssen die Welt (der Erwachsenen) erst entdecken und kennen lernen. Sie sind sehr neugierig und haben auch oft sehr konkrete, eigene Vorstellungen, wie Dinge, Menschen und so weiter „funktionieren“. Dabei müssen sie viel ausprobieren und nicht immer wird alles so passieren und sein, wie sie sich das vorstellen. Eine Folge, wenn Kleinkindern etwas nicht „passt“, können die so genannten „Trotzanfälle“ sein. Andererseits können Kleinkinder in solchen Situationen durch Ablenkung manchmal sehr schnell in eine andere Stimmungslage kommen, wo sie zum Beispiel ein „ansteckendes Glücklichsein“ verbreiten.

Stimmungsschwankungen, die zweite
Ein sehr aufregendes Alter, in dem sich sehr viel bewegt, verschiebt, verändert, Neues entsteht aber auch Altes verabschiedet wird, ist jener Übergang von Kindern zu Kids, den du vielleicht auch schon bei deinen Jungscharkindern erlebst/ erlebt hast.
Abgesehen von körperlichen Veränderungen, die Mädchen und Buben in dieser Altersphase erleben, beginnt hier ein Ablösungsprozess vom Elternhaus. In dieser Zeit werden die Meinungen, Ansichten etc. der Peer-Group (Gruppe der Gleichaltrigen) wichtiger als jene der Eltern. Es muss einfach vieles in Frage gestellt werden, das die Kinder bisher erlebt und erfahren haben – oft zeigt sich das in revolutionärem und aggressivem Verhalten – verbal, beziehungsmäßig, körperlich, oft aber auch nur nach „innen“ gerichtet.
Auch Kids haben genauso wie Kinder „ihre eigene Welt“, es sind andere Vorstellungen und Ideale als die der Kinder, aber auch noch anderes als jene von Erwachsenen. Auflehnung gegen Schule oder Elternhaus geschieht nun nicht mehr durch „Trotzanfälle“, sondern durch andere Verhaltensweisen, die z.T. von Erwachsenen nicht goutiert werden. Manchmal zeigen Kids ein vermindertes Selbstvertrauen, sind apathisch, haben Ängste und Konzentrationsmängel. Leistungsschwankungen sind ebenso möglich wie verstärkte Stimmungs- und Befindensschwankungen, nicht selten äußert sich dieses Unwohlsein, die Orientierungslosigkeit und Verunsicherung in psychosomatischen Störungen, wie z. B. Verdauungsprobleme oder Kopfschmerzen.

Was Jugendliche in dieser Zeit brauchen, sind verständnisvolle (junge) Erwachsene, (z. B. können Gruppenleiter/innen dies sein), Orientierungshilfen und Rückzugsräume. Erwachsene, die das „Anders-Sein“ zulassen können, für revolutionäres und abgrenzendes Verhalten Raum geben, und Kids dadurch Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten geben. Auf der anderen Seite ist es aber auch notwendig, Grenzen zu zeigen. Es ist wichtig, Kids in dieser Zeit nicht alleine zu lassen, sie in Entscheidungsprozesse nicht nur einzubinden, sondern sie dabei auch zu begleiten.

Stimmungsschwankungen in der Jungschargruppe
Auch in der Jungschar können pubertierende Kids einige Herausforderungen an dich als Gruppenleiter/in stellen. Rituale, Spiele, Gruppenstundenthemen, Aktionen, die für sie als Kinder gepasst haben, sind jetzt total „out“. Du solltest nun öfters abfragen, ob Altgewohntes für die Kids noch passt, aber auch Neues, Anderes vorstellen und mit ihnen ausprobieren.
Einerseits wirst du vielleicht mit einer Laschheit und Lustlosigkeit der Kids konfrontiert – alles, was du anbieten möchtest, ist für sie „öd“, „uncool“, bestenfalls „kindisch“. Auf der anderen Seite ist es schwer, sie dazu zu bewegen, selbst etwas auf die Beine zu stellen, aktiv zu werden. Auch hier braucht es beides – das Aushalten und Gewähren von Rückzugsräumen, das bieten von Orientierung und Grenzen und das Anbieten von Neuem. Gerade Jungschar könnte hier Kids die Möglichkeit solcher Rückzugsräume bieten. Das können einerseits Orte sein, die sie selber (mit-) gestalten dürfen und wo es keine ständige „Kontrolle“ gibt – Räume, in denen Kids so sein dürfen, wie sie sein wollen oder eben gerade sind, keinen „Konventionen“ entsprechen und nichts leisten müssen.

Das Begleiten der Gruppe ist nun nicht mehr so offensiv wie vielleicht bei einer Gruppe von jüngeren Kindern, sondern eher geleitet von einer „invisible hand“ – damit meine ich, dass es nicht mehr eine so starke Leitungsfunktion braucht, die ich bei Kindergruppen für sehr notwendig halte, sondern zunehmend eine „unsichtbare“ Leitung, die zwar Sicherheit und einen Rahmen gibt, aber sich nicht in den Vordergrund drängt. Die Jugendlichen in die Gestaltung der Gruppenstunden verstärkt einzubinden (indem man sie bei der Ausmachung von Regeln, bei der Programmgestaltung usw. ganz bewusst und sehr oft einbindet), ist eine gute Möglichkeit, ihnen „schleichend“ Verantwortung zu übertragen. Sehr entscheidend in dieser Phase ist auch die Festigung eurer Beziehung: für sie da zu sein und ihnen auch zu vermitteln, dass sie gerade jetzt mal „schlecht drauf“ sein dürfen, sich nicht erklären und nicht überall mitmachen müssen. Die Kids sollen in dieser Orientierungsphase erleben, dass jede/r seinen/ihren Platz in der Gruppe hat und sich nicht durch „Gruppendruck“ anpassen muss.

„Himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt“ - das kann anstrengend sein – für Kinder und Jugendliche – für Mädchen und Buben – für Erwachsene und die, die es werden – für Leise und Laute – für Schnelle und Langsame… und jede/r ihnen kennt diese Schwankungen und freut sich, wenn er/sie auf Personen trifft, die einen verstehen!

Bernhard Binder

[aus dem kumquat "Himmel" 2007]