Frau und Religion

Eine facettenreiche Geschichte

Das Bild erscheint zunächst sehr widersprüchlich: Gottesdienste – nicht nur katholische – werden mehr von Frauen als von Männern besucht. Sie haben auch laut religionssoziologischen Studien mehr inneren Bezug zum Glauben als Männer. Gleichzeitig werden fast alle Religionen in der Öffentlichkeit von Männern repräsentiert, und nicht von Frauen. Einerseits sind Frauen also sehr präsent in den Religionen, andrerseits sind sie wenig sichtbar und haben wenig Macht in den Religionen. Wie passt dieses widersprüchliche Bild zusammen?

Auf so eine Frage kann es keine einfache Antwort geben. Das Bild lässt sich aber etwas differenzieren, wenn wir bewusst nach starken Frauenfiguren in den Religionen Ausschau halten. Denn eines der Probleme ist ja, dass viele dieser Frauenfiguren nicht so sehr wahrgenommen werden, wie es ihrer Rolle zu ihrer Zeit entsprechen würde. Leider ist es nicht möglich, im Rahmen dieses Artikels auf alle Religionen und alle historischen Phasen ihrer Entwicklung einzugeheben; die hier dargestellten Persönlichkeiten stehen exemplarisch für viele andere Frauen.

Maria, Jungfrau, Mutter, Befreierin

Die Gottesmutter Maria ist in der Katholischen Kirche sicher jene Frauenfigur, die am meisten Präsenz genießt, auch im diesseitigen Sinn. Unzählige Kirchen sind ihr geweiht und wir erfreuen uns in Österreich gleich dreier Feiertage zu Ehren Mariens: Mariä Himmelfahrt am 15. August, Mariä Empfängnis am 8. Dezember (mit ganzen Namen „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“) und, wenig bekannt, auch das Hochfest der Gottesmutter am 1. Jänner.

Für viele Menschen steht die Gottesmutter Maria für die Unterdrückung der Frauen in der Kirche: Während Maria verehrt, aber in den Himmel entrückt wird, werden Frauen in der Kirche wesentliche Rechte verweigert. Ist Maria die Alibi-Quotenfrau, die neben die (männliche) Dreifaltigkeit gestellt wird? Ich denke, sie spielt in der Geschichte der Kirche tatsächlich so eine Rolle. Aber es ist nicht ihre einzige, und vor allem: Es ist nicht ihre eigentliche Aufgabe. Im Neuen Testament erscheint Maria nicht als entrückte, abgehobene Frau, sondern eigentlich sehr menschlich. Wir können sie uns durchaus zaghaft und unsicher vorstellen, als sie in ihrer Jugend unverheiratet schwanger wird. Wir sehen sie um ihren Sohn besorgt und wohl auch erbost, als der 12jährige Jesus in den Tempel geht und dort die Schrift auslegt. Wir erleben sie von ihrem Sohn zurückgewiesen, als er fragt, wer denn seine Geschwister und seine Mutter sind, wenn nicht jene, die den Willen Gottes erfüllen (Mk 3, 31-35). Nicht gerade höflich zur Mutter, dieser Jesus-Sohn. Nach dem Tod Jesu war sie in der Jesus-Bewegung mit dabei, als diese ratlos war und auch als diese begann, doch Hoffnung zu schöpfen und sich für die Verbreitung der Botschaft von der Auferstehung einzusetzen.

Soweit das menschliche Bild von Maria. Doch sie kann auch andere Saiten aufziehen: Im Magnificat im Lukasevangelium wird sie zur Proto-Revolutionärin und singt: „ER stürzt die Mächtigen vom Thon und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und läßt die Reichen leer ausgehen.“ (Lk 1,52) Dieses Bild von Maria passt nicht zum verstaubt-konservativen Auftritt, der Maria in unserer Kirche gewöhnlich erlaubt wird. Diese Maria will keinen Stein auf dem anderen lassen und die gesellschaftlichen Verhältnisse völlig umkehren. Diese Textstelle wurde daher für die Befreiungstheologie sehr wichtig, tritt doch Maria darin als Befreierin auf.

Die Jungfrau von Guadalupe, Indio-Identitätsstifterin

In dieser eigenartigen marianischen Widersprüchlichkeit zwischen Aufbegehren und Bewahren steht auch eine der wichtigsten Gottesmutterfiguren Lateinamerikas. Das klingt natürlich auch etwas komisch, dass es so viele verschiedenen Marias gibt, wo es doch, theologisch gesprochen, doch immer nur um die eine Gottesmuter gehen kann. Doch der Katholizismus ist hier sehr tolerant und lässt eine große Vielfalt von durchwegs widersprüchlichen Marienfiguren zu. Die Gottesmutter von Fatima ist anders als jene von Guadalupe, die wieder ganz anders ist als jene von Mariazell oder Lourdes.

Die Muttergottes von Guadalupe soll 1531, zehn Jahre nach Eroberung des Landes durch die Spanier, dem Indio Juan Diego erschienen sein. Auf seinem Mantel fand sich wundersamerweise das Bildnis der Gottesmutter wieder. Dieses ähnelt jenem der aztekischen Erd- und Muttergottheit Tonantzin, deren Tempel früher dort stand, wo Juan Diego die Vision hatte und sich seither der bedeutendste Wallfahrtsort Lateinamerikas befindet. Das Bildnis dieser dunkelhäutigen jungen Frau, die – von Sternen umgeben – auf einer Mondsichel steht, ist voll von Symbolen und Zeichen, die auf die prähispanische Kultur und Religion hinweisen. Im Namen der Jungfrau von Guadalupe eroberten die Conquistadoren den Kontinent, unter ihren Banner stellten sich aber auch Aufstände gegen die Kolonialherrschaft. Maria galt bei diesen als Befreierin, durchwegs auch im konkret-politischen Sinn. Auch dort also keine verstaubte Figur, die geduldsame und unterwürfige Verhaltensweisen fordert.

Aischa, Religionsorganisatorin

Doch auch in anderen Religionen gibt es starke Frauenfiguren. Mit Aischa, der jüngsten Frau des Propheten Mohammed, kommen wir zu historischen Persönlichkeiten. Aischa war eine aufgeweckte und fröhliche, aber auch sehr kluge und starke Frau. Sie beriet und unterstützte den Propheten in seinen Unternehmungen und übernahm auch nach seinem Tod eine wichtige Rolle im aufstrebenden Islam. Der Prophet hatte ihr ein umfangreiches religiöses Wissen anvertraut, und dies machte sie noch Jahrzehnte nach seinem Ableben zur bedeutenden Lehrerin der muslimischen Gemeinschaft. Sie gilt auch als eine der wichtigsten Quellen für authentische Überlieferungen aus dem Leben Mohammads. Aischa soll etliche Tausend Aussprüche des Propheten (Hadith) wiedergegeben haben. Sie galt als wichtige Autorität, um diese Hadiths zu interpretieren und soll auch nicht gezögert haben, Gefährten des Propheten vor allem im Hinblick auf Frauenrechte zu korrigieren.

In der bewegten Zeit nach dem Tode des Propheten beteiligten sich sowohl Aischa wie auch andere Witwen des Propheten am politischen Geschehen. Aischas Vater Abu-Bakr wurde sein erster Nachfolger, verstarb aber nach zwei Jahren. Als der dritte Kalif Osman bei Unruhen in Medina getötet wurde, bestand Aischa darauf, die Schuldigen zu finden und zur Verantwortung zu ziehen. Darüber kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit dem vierten Kalifen Ali, der sich zuerst den dringenden sozialen Problemen widmen wollte, die zu dieser Situation geführt hatten. Die Auseinandersetzung wurde 656 in der „Kamelschlacht“ ausgetragen - so genannt, weil Aischa hoch zu Kamel ihre Truppen anführte. Sie verlor die Schlacht, doch ihr Engagement zeigt deutlich die aktive Rolle muslimischer Frauen in der Frühzeit des Islam.1

Eine weitere Frau, nämlich Fatima, Tochter des Propheten, spielt eine prominente Rolle im frühen Islam. Als Muhammad starb, war Fatima untröstlich und schon wenige Monate nach seinem Tode folgte sie ihm nach. In der kurzen Zeit, die ihr blieb, war sie jedoch äußerst aktiv. Sie hielt Reden und setzte sich dafür ein, die Ideale des Propheten unverfälscht hochzuhalten. Alle Nachkommen des Propheten stammen von Fatima und ihrem Mann Ali ab, sie führen den ehrenvollen Titel „Sayed“. Als Mutter der Imame Hassan und Hussein wird Fatima besonders von schiitischen Muslimen verehrt.2

Frauen im Islam

In der jüngeren theologischen Diskussion im Islam werden diese beiden Frauen neben anderen wieder in Erinnerung gerufen. Der Islam muss sich in Österreich häufig den Vorwurf gefallen lassen, frauenfeinlich zu sein. Der Vorwurf hält aber einer näheren Prüfung nicht wirklich stand: So gut wie alle Religionen tendieren dazu, Frauen in der Öffentlichkeit eine geringere Rolle als Männern zuzugestehen. Fast alle haben aber ihre starken Frauen, die mal mehr, häufig aber weniger verehrt und tradiert werden. Der Islam als Religion ist jedenfalls als solcher nicht frauenfeindlicher oder -freundlicher als das Christentum. Historisch und regional ist die Rolle von Frauen im Islam wie auch in Christentum und Judentum sehr unterschiedlich. Kurdische Frauen, durchaus islamisch, sind es gewohnt, selbstbewusst öffentlich aufzutreten. Auf der arabischen Halbinsel, wo die neo-orthodoxen Interpretationen der Wahabiten einflussreich sind, wird Frauen eine weit schlechtere Stellung seitens der herrschenden Männer zugestanden. Diese Frauendiskriminierungen haben wenig mit dem Islam an sich zu tun, auch wenn sie gerne mit dem Koran gerechtfertigt werden. Aber was hat man nicht alles mit der Bibel gerechtfertigt?

Ein Blick in andere Länder zeigt, dass sich die gesellschaftliche Stellung von Frauen mitunter relativ rasch verändern kann. Interessant ist in diesem Zusammenhang etwa die Situation von Frauen im Iran nach der islamischen Revolution: Eines der paradoxen Ergebnisse dieser Revolution ist eine vergleichsweise sehr hohe Frauenquote unter den Studierenden bei gleichzeitiger struktureller Frauendiskriminierung. Denn der rechtliche Status von Frauen ist seit der islamischen Revolution schlechter, aber heute sind viel mehr Frauen alphabetisiert, studieren, nehmen am öffentlichen Leben teil, als vor der Revolution. Waren 1975 nur 45% der Frauen in den Städten alphabetisiert, sind es heute 97% der 15-30-jährigen. Der Irak-Iran-Krieg hat die aktive Rolle der Frau gefördert, denn viele Frauen übernahmen Jobs von Männern. Ein Drittel aller Arbeitskräfte sind Frauen, ein Drittel aller Akademiker mit Doktortitel sind Frauen und 63% der Studierenden sind weiblich. Unter dem Kopftuch bewegt sich viel - man darf seine Wahrnehmung nicht auf das Kopftuch reduzieren.3

und noch viele andere ...

So, und jetzt ist der Raum, den ich für diesen Artikel zur Verfügung habe, schon mit Worten gefüllt. Es ist ein sehr ausschnitthafter Einblick, den ich hier geben konnte. Eigentlich wollte ich noch auf Hildegard von Bingen (ca. 1098-1179), die mittelalterliche Heilkundlerin eingehen, die mit Päpsten und Kaisern im Schriftwechsel stand und sich bei den Mächtigen ihrer Zeit Gehör zu verschaffen wusste. Interessant wäre es aber auch, uns der Gegenwart zu nähern und über Hildegard Burjan (1883-1933) zu sprechen, die im Österreich der Zwischenkriegszeit als erste Abgeordnete der Christlich-Sozialen Partei im Nationalrat saß und die Caritas Socialis gründete. Und dann gäbe es noch viel über feministische Theologie in der Katholischen Kirche zu berichten. Doch vielleicht habe ich dich nun genügend neugierig darauf gemacht, selbst der Frage nachzugehen, wie deine Kirche, deine Religion Frauen sieht, wie Frauen ihre Religion sehen und mitgestalten.

Gerald Faschingeder

1    Der Abschnitt zu Aischa ist übernommen von religion.orf.at/projekt03/religionen/biographien/bi_aischa.htm, 28.2.2010.
2    Vgl. religion.orf.at/projekt03/religionen/biographien/bi_fatima_fr.htm, 28.2.2010.
3    Vgl. Vortrag von Pari Rafi, www.liga-iran.de/Frauen-in-Iran.htm, 3.5.2009.