Vom Anfang lernen, damit es gut weitergehen kann

Anregungen aus der Urgemeinde für die heutige Praxis

Am Anfang war die Krise

Jesus, der bekanntlich bis zu seinem Tod Jude war, hinterließ keine „Weltreligion Christentum“. Der Anfang dieser neuen Religion ist sicherlich als Krisenzeit zu bezeichnen: Die Anhänger/innen Jesu waren nach dem Sterben ihres Anführers und Erlösers wahrscheinlich ratlos, hart getroffen und enttäuscht. Bezüglich der Frage, wie es weitergehen soll, gab es die weitverbreitete Hoffnung auf ein drastisches Einschreiten Gottes, das Gerechtigkeit herstellen wird. Sie lebten in der unmittelbaren Erwartung, dass der Messias wiederkommt und die Welt endgültig erlöst. Mit den Jahren wurde diese Hoffnung mehr und mehr enttäuscht, da das Ende der Welt und das Wiederkommen des Messias ausblieben (das wird theologisch Parusieverzögerung genannt).

Die Anhänger/innen der jüdischen Sekte, aus der sich später das Christentum entwickeln wird, waren voll Sehnsucht nach dem fernen Reich Gottes. Von den Apostel/innen und aus den erzählten Evangelien bekamen sie die Botschaft, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist, dass es mitten unter ihnen ist: Da wo Menschen leben, wie es Gott gefällt - also solidarisch sind und sich nicht nur mit „Gleichgesinnten“ auseinandersetzen. Lukas erzählt beispielsweise das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der aus der untersten Schicht der Migrant/innen kommt und sich trotz persönlichen Nachteilen um einen verwundeten und ausgeraubten Mann am Wegrand kümmert.

Gleich anschließend im Lukasevangelium antwortet Jesus, der gefragt wurde, wann das Gottesreich komme: „Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch!“ (Lk 17,11-21). Die klare Botschaft aus dem alten und dem neuen Testament lautet: Gott wendet sich den Menschen zu - und zwar bedingungslos (auch wenn sich das nicht so zeigt wie wir es uns vorstellen).

Mut zum Konflikt

Die Apostelgeschichte (kurz Apg) gibt einen Einblick in die Praxis und Taten der Apostel/innen und der ersten „Christ/innen“. Wie bei den Evangelisten können wir in der Apg über den „guten Anfang“, aber auch über ihre Probleme und Konflikte sowie ihren Umgang mit diesen lesen. Im zweiten Kapitel wird über „für die Gemeinschaft förderliches Verhalten“ reflektiert: „Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.“ (Apg 2,45; 4,35). Weiters erfahren wir, wie auf Probleme und Konflikte reagiert wurde: Statt die Schuldigen zu suchen überlegte man, wie die Struktur zu ändern ist, damit z.B. „armutsgefährdete Frauen“ bei der Ausspeisung nicht übergangen werden oder „falsche Frömmigkeit“ die Gemeinde tötet. Das Problem wurde dort gelöst, wo es entstand: In der Gemeinde.

In Apg 15 erhalten wir Auskunft über das Apostelkonzil in Jerusalem. Es ging um die Frage der Inkulturation und was die neue Gemeinschaft verbinden soll, also konkret ob Heiden beschnitten werden müssen. Nach langen Diskussionen was Heid/innen tun müssen, um Christ/innen zu werden, einigten sich die Beteiligten, den „Neuen“ keine zusätzliche Last aufzulegen. Sie müssen also nicht beschnitten werden, sollen sich aber an die wichtigen Regeln halten: Kein unreines Fleisch, keine Unzucht und weder Ersticktes noch Blut essen. Aus ihrer Vorgehensweise wird deutlich, dass es mutige Menschen braucht, die klar Position beziehen, miteinander reden und auch streiten und so lange diskutieren, bis es eine gute Lösung gibt. Es ist unumgänglich, Konflikte klar anzusprechen (gerade bei heiklen Themen!), alle Beteiligten zu Wort kommen zu lassen, Erfahrungen zu beachten, lösungsorientiert heranzugehen, eine verbindliche Entscheidung in der Vollversammlung zu treffen und diese schriftlich und mündlich den anderen mitzuteilen.

Multikulturell damals und heute

In der Urgemeinde war der Geist Gottes von großer Bedeutung. Durch die Taufe in jede/n eingegossen, wirkt Gott in jedem Menschen – allerdings auf unterschiedliche Weise. Im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 12 und 13 verdeutlicht Paulus die unterschiedlichen Gnadengaben, Charismen und ihren Zusammenhang: Dem einen wird die Gabe verliehen, Krankheiten zu heilen, der anderen Erkenntnis zu vermitteln, wieder einer anderen prophetisches Reden oder Glaubensstärke. Wenn die Gaben auch sehr unterschiedlich sind, sie kommen alle von dem einen Geist und sollen für die Weitergabe des Glaubens eingesetzt werden.

Der eine Geist und die vielen Gaben sind zu verstehen wie der eine Leib und die vielen Glieder: Die Unterschiede (in Funktionsweise oder Anwendungsgebiet) sind auf das Gemeinsame hin und von ihm her zu sehen, die verschiedenen Geistgaben dazu da, dem Ganzen zu dienen. So wie die verschiedenen Organe und Teile eines Körpers zusammenarbeiten sollen die Christ/innen ihre Talente einander zur Verfügung stellen und miteinander Gott näher kommen. So kann der Blick auf die eigene Person geweitet werden (der Fokus auf die Hand wird durch ihre Funktion für den ganzen Körper in einen größeren Zusammenhang gestellt), die eigenen Talente als von Gott geschenkt wahrgenommen und eigene Vorstellungen überschritten.

Der Apostel Paulus war in zwei Kulturen und Sprachen beheimatet, seine Herkunft war also nicht „klassisch“, heute könnten wir ihn als bikulturell bezeichnen. Gerade diesen Umstand, der Vor- und sicher auch Nachteile mit sich brachte, setzte er bewusst für die Verkündigung des Auferstandenen ein, er nutzte seine konkrete Lebenssituation als Stärke.

Das ist ebenfalls eine wichtige Erfahrung, die wir von den ersten Verkünder/innen des Reiches Gottes lernen können: Unsere eigenen Stärken, unsere Lebenssituation ist Ausgangspunkt für die Verkündigung (auch in der Jungschar- oder Ministunde!), für Gottes Handeln an uns. Auf das Geschlecht, die Schulnoten, den Lebensstand, die soziale Situation,... kommt es nicht an. Unsere konkrete Situation nimmt Gott als Ausgangspunkt, unabhängig von unserer Einschätzung.

Sabine Kräutelhofer

aus dem kumquat "Autsch!" 3/2010