Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche! Che Guevara

Über Utopia und Utopien

In einem selbstgebauten Floß aus weggeworfenen Dingen über alle sieben Weltmeere tuckern, im unterirdischen selbstgebauten Tempel meditieren, sich selbst einen Staat schaffen, der einzig auf dem Recht des Respekts und Toleranz aufbaut. Das klingt vielleicht utopisch, ist es aber nicht – diese kleinen Utopien gibt es wirklich: Menschen, die sich ihre eigene Welt schaffen.

Was ist aber Utopia? Mal ist es ein Roman von Thomas Morus, mal eine Band, mal ein Lied, Städte in Florida, Illionois, Kansas, New York oder Texas. Utopia kann vieles sein; nach dem Duden ist es ein Substantiv und Neutrum, aber auch ein Traumland, ein erdachtes Land, in dem ein gesellschaftlicher Idealzustand herrscht.

Utopia kommt aus dem Griechischen und heißt übersetzt:„“Land, das nirgends ist”. Wie eben bereits erwähnt, ist es etwas Erdachtes, noch nicht Reales, etwas das noch entstehen muss/soll. Utopia und der noch abstraktere Begriff der Utopie, die eher das theoretische Konstrukt dahinter meint, ist etwas Positives, ein Idealzustand, den wir zu erreichen versuchen sollten. Ein berühmtes Beispiel für eine Utopie war der Kommunismus nach dem Philosophen Karl Marx. Dahinter stand eine Ideologie, die das Wohl aller Menschen wollte; somit also etwas zutiefst Positives. Leider haben wir aber alle im Geschichtsunterricht gehört, dass es mit dem Kommunismus nicht so gut ausging, und dass viele Menschen darunter leiden mussten.

Wozu also Utopien konstruieren?

Ich denke, wer sich Gedanken zu seinem/ihrem eigenen Utopia macht, den bewegt der Wunsch nach Veränderung. Ein Nicht-zufrieden-sein mit der Welt und ihren Lebensumständen. Ein Es-besser-machen-wollen. Ein solidarischer Gedanke, denn wie wir schon in der Definition nach Duden gelesen haben, geht es um einen gesellschaftlichen Idealzustand. Es geht nicht um eine/n alleine, es geht um mehr, es geht um uns. Die Utopie kann nicht für mich alleine bestehen, oder besser noch, ich kann mir meine Utopie, im strengen Sinn, nicht alleine aufbauen. Es geht um etwas Gesellschaftliches: Nur gemeinsam kann man etwas verändern.

Es ist keinesfalls unsinnig, über Utopien nachzudenken oder welche zu kreieren. Der Haken an der Sache ist, dass Utopien dadurch, dass sie schon per Definition nicht existieren können, niemals Realität annehmen können. Sie sind ein gedachter Idealzustand.

Aber hier nun die Gegenfrage: Wo wären wir ohne große, fantastische Ideen?

Wahrscheinlich noch in der Steinzeit. Ohne große Ideen, viel Fantasie, Neugier, Ausprobierens- und Abenteuerlust würden wir nicht weiterkommen. Idealistisch ausgedrückt: Nur durch das Versuchen des Unmöglichen ist Veränderung möglich.

Durch diesen Veränderungsbegriff, der in der Idee der Utopie steckt, haben diese also immer auch ein kritisches Moment inne. Es gibt sogar den Begriff der utopischen Kritik. Sie geht von einem Ort aus, den es nicht gibt, an dem ideale Gesellschaftsformen bestehen, um das aktuelle Bestehen zu kritisieren. Sie können aber auch, ähnlich wie Legenden, in der Vergangenheit spielen um etwas in der Gegenwart zu erklären oder zu kritisieren. Im Fall der Utopie ist es eben eine Kritik, in der Legende wäre es eher eine Erklärung. Ein Beispiel für so eine rückwärtsgewandte Utopie ist die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Eine totale Einheitssprache ist prinzipiell nicht etwas absolut Unmögliches, aber hier geht es um die Vermessenheit der Menschheit. Hier gab es also eine Kritik an der utopischen Idee.

Wie eben gesagt, solche Gesellschaftkritiken müssen nicht unbedingt von einem erstrebenswerten Ziel ausgehen, sie können auch als negative Utopien ausgehen, sogenannte Dystopien. Beispiele wären hier Aldous Huxleys “Brave New World” oder George Orwells “1984”. Beides sind sehr negative Entwürfe der Zukunft, wie unsere Welt vielleicht werden könnte, wenn wir uns nicht mit uns und unserer Gesellschaft in einen kritischen Diskurs setzen.

Real gewordene Utopien

Vor kurzem habe ich hierzu eine sehr spannende Dokumentation namens “Empire Me – Das Phänomen der Gegenwelten. Mikronationen und andere Lebenswelten. Sechs Beispiele einer anderen Welt” von dem österreichischen Regisseur Paul Poet gesehen. Er porträtiert hier sechs “Mikrostaaten”, die von Menschen gegründet wurden, um einen anderen Weg zu gehen, ihre Visionen zu realisieren.

Immer wieder spricht er in dem Film von Utopien, von dem kleinen Utopia, das sich diese Menschen schaffen. Allerdings wenn man sich eben die Begriffsbestimmung von Utopia ansieht, merkt man, dass auch diese kleinen Oasen des Andersseins keine wirklichen Utopias sind.

Erstens existieren sie real, das geht schon mal mit dem Begriff Utopia, der sich ja durch seine Nichtexistenz definiert, nicht einher. Außerdem herrschen auch in diesen “Mikrostaaten” keine Idealbedingungen. Es sind keine Paradiese, so wie man sich Utopia vielleicht vorstellen würde – auch dort läuft viel falsch, nur vielleicht in kleinerem Ausmaß als sonst.

Aber trotzdem sind diese anderen Lebensentwürfe sehr spannend, und ich möchte sie euch deshalb nicht vorenthalten. Um einen Einblick zu erhalten, worum es bei diesen “Utopien” geht, findet ihr hier einige Beispiele:

Swimming Cities of Serenissima

Ist eigentlich ein Kunstprojekt, hinter dem die Künstlerin Caledonia Dance Curry, auch als Swoon bekannt, steht. Die Swimming Cities sind riesige Floße, die aus allerlei Weggeworfenen zusammengebaut sind. Nichts ist hier neu, alles besteht aus recyceltem Material. Die Crew besteht aus vielen verschiedenen Künstlern, ca. 30 an der Zahl. Ein großer Teil von ihnen kommt auch aus der “Dumpster-Diving-Bewegung” in der es um die Wiederverwendung von Weggeworfenem geht und darum, verschwenderischen Konsum zu hinterfragen. Insofern ist dieses Projekt nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch sehr ambitioniert. Die Swimming Cities tuckerten von Slowenien nach Venedig zur Biennale.

Und natürlich war nach dieser Reise nicht Schluss, die Swimming Cities wurden natürlich nicht auf den Müll geworfen. Ganz nach Intention der Künstler/innen fanden sie in Haiti einen neuen Verwendungszweck. Dort existieren sie weiterhin in Form einer fixen Versorgungs-Floßstadt.

Sealand

Heißt eigentlich Fürstentum Sealand und war eine ehemalige Seefestung der britischen Armee. Durch eine Gesetzeslücke konnte (Prinz) Paddy Roy Bates 1967 diesen Ort zur ersten Mikronation ausrufen. Ursprünglich plante Bates einen Piratensender, der außerhalb des Zugriffs des britischen Staates lag. Da hier aber rechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet wurden, änderte er diese Pläne und rief statt eines Radiosenders eine neue Nation aus.

Einfachheitshalber ist Sealand keine Demokratie, sondern ein Fürstentum, die Thronfolge wird natürlich durch Erbfolge geregelt. Seit 1999 hat Paddys Sohn Michael die Regierungsverantwortung übernommen. Falls ihr diesen Staat mal besuchen wollt, vergesst euren Pass und wetterfeste Kleidung nicht. Wenn man sich jetzt denkt: “Und was ist hier das Utopische daran?”, dann denke ich, dass es bewundernswert oder fantastisch ist, in einer so strikt geregelten und bürokratisierten Welt einfach seinen/ihren eigenen Staat ausrufen zu können. Dass es immer noch Schlupflöcher der Bürokratie gibt, die so etwas möglich machen, man muss sie nur finden.

Freistadt Christiania

Schon mal in Dänemark gewesen? Hier kann man die Freistadt Christiania besuchen, die von der Regierung als autonome Kommune anerkannt wird. Die Stadt liegt in einem ehemaligen Militärgebiet, das nur noch durch seine mittlerweile mit Graffitis und anderen Kunstwerken verschönerten Kasernen an die Zeiten des Militärs erinnert. Die 34 Hektar Land sind ein grünes Fleckchen Erde, auf dem seine Bewohner/innen interessante Behausungen in möglichst naturbelassener Umgebung geschaffen haben. Auch das Autofahren wurde gänzlich untersagt, was zur Erhaltung und Pflege der Landschaft beiträgt.

Christiania wurde vom Gründer als Chance wahrgenommen “eine Gesellschaft von Null aufzubauen”. Die Idee sei, dass sich die Gesellschaft selbst bestimmt und jede/r für jede/n verantwortlich ist.
Freilich führt eine autonome Subgesellschaft in einer bereits existierenden Gesellschaft mit der Zeit zu Problemen, vor allem wenn es um Gesetzeslagen geht, die in der Großgesellschaft um sie herum das genaue Gegenteil vertreten. Immer wieder hat die dänische Regierung versucht Christiana aufzulassen. Nichtsdestotrotz hält sich das “soziale Experiment” seit 1971.

Falls ihr jetzt dran denkt, euch einen neuen Staat zu suchen, ist das kein Problem – dank des Internets. Auf der Homepage von “Empire Me” könnt ihr einen “Einbürgerungstest” machen und schauen, welches “Utopia” am besten zu euch passt. Danach könnt ihr auch gleich Onlinebürger/in werden. (www.empire-me.net)

Kathi Bereis mit Ideen von Johanna Fuchshuber

kumquat "Utopia" 2/2012