Digitale Medien

Expert/innen-Interview

Mag. Ewald Staltner MSc, ehemaliger 3. Vorsitzender der KJSÖ unterrichtet an der HLW Steyr und beschäftigt sich seit langem mit neuen Lernformen im Bereich des eLearning. Aktuell forscht er zum Einsatz von Computerspielen in Schule und Unterricht, sowie zu Möglichkeiten aktiver Beteiligung im Zusammenahng mit dem Social Web (Medienpartizipation).

Welche Medien beschäftigen/nutzen Kinder heutzutage?
    Die hohe Bedeutung der Mediennutzung für Kinder spiegelt sich wider in einer fast flächendeckenden Verfügbarkeit von Handy, Computer und Internet ab einem Alter von 12 Jahren. Laut aktueller EU-Studie (EU Kids Online II) liegt das durchschnittliche Einstiegsalter ins Internet bei 9 Jahren. Bei der konkreten Nutzung steht an erster Stelle der Musikkonsum, gefolgt von Internet und Handy. Wesentlich sind die Möglichkeiten der Kommunikation (Social Communities, Chat, Email). Im Unterhaltungsbereich kommen noch Fernsehen und Computerspiele hinzu.

Welche Möglichkeiten bringt die Mediennutzung?

    Die Nutzung der sogenannten „Neuen Medien“ (wenn man den Begriff so überhaupt noch verwenden kann) wie Internet und Computer ist alltäglich geworden. Die sogenannte Generation der Digital Natives wächst ganz selbstverständlich mit den unterschiedlichsten Medien auf und nutzt diese. Hinzu kommt, dass die einzelnen Medienformate zunehmend miteinander verschmelzen (siehe v.a. Smartphones) und so neue Formen der Kommunikation und Selbstdarstellung eröffnen (z.B. in Social Communities, Facebook, YouTube, Twitter, Flickr, ...). Diese ermöglichen unter anderem neue Prozesse der Identitätsfindung (Wer bin ich?; Wie möchte ich mich anderen gegenüber dastellen?; Welche Stellung habe ich in meinem sozialen Netzwerk?), des Austauschs von Meinungen, gesellschaftlicher Beteiligung  und der Informationsbeschaffung.

Berühmtestes Beispiel für gesellschaftliche Beteiligung ist das YouTube Video über einen Schneemann, welcher sich besorgt über den Klimawandel äußert. Das Video wurde im Präsidentschaftswahlkampf  2007 von CNN aufgegriffen und die abschließende Frage des Schneemannes den Kandidat/innen zur Beantwortung vorgelegt.

Welche Gefahren bergen Medien?
    Jugendliche schätzen mittlerweile großteils die Gefahrenquellen richtig ein, wie JIM-Studie und EU-Kids Online bestätigen. Genannt werden v.a. Internet-Abzocke, Viren und speziell im Bereich des Social Web der Datenmissbrauch. Während die älteren (ab ca. 11 Jahren) mit Schutzmaßnahmen relativ gut umgehen können, besteht hier bei den „Einsteiger/innen“ (siehe oben) noch Aufholbedarf.

Hinzu kommt der Umgang der einzelnen Plattformen mit den Informationen der Nutzer/innen, sodass es kaum möglich ist keine Spuren im Netz zu hinterlassen. Und nicht immer werden diese Spuren bzw. das Bildmaterial oder die hinterlegte Emailadresse in freundlicher Weise verwendet. So berichtet jeder fünfte 9-16jährige  von Fällen des Cyber-Mobbing, wobei diese Gefahrenquelle vor allem bei älteren feststellbar ist (vgl. EU-Kids Online II).

Ein altersunabhängiges Problemfeld hingegen stellen Formen von Online-Sucht oder Computerspiel-Sucht dar, sowie die Nutzung von Medien (Computerspielen), für die die Nutzer/innen eigentlich zu jung sind. Hier braucht es kreativere Ansätze als Verbote und vor allem eine gute Medienpädagogik (nicht nur in der Schule)

Kann man als Gruppenleiter/in diesen Gefahren vorbeugen oder entgegenwirken?
    Ich denke, dass gerade Gruppenleiter/innen eine wichtige Funktion in der Begleitung von Kindern in eine(r) mediale(n) Welt haben. Kinder sehen bei ihnen den Umgang mit Medien, sozialen Netzwerken und die Nutzung der Beteiligungsmöglichkeiten. Darüberhinaus hinaus kann mit Kindern die Erstellung von Medieninhalten erprobt werden (z.B.: ein Lagerfilm auf YouTube, eine eigene Facebookseite der Gruppe, ...) und so die Basis für eine aktive Teilnahme gelegt werden.

Gerade der geschützte Rahmen der Gruppe, ohne ausdrücklicher Kontrollfunktion oder Leistungsdruck eröffnet einen Raum, in dem offen und kritisch über den Umgang mit Medien gesprochen und diskutiert werden kann. Die eigenen Erfahrungen können so reflektiert werden und Kinder und Jugendliche auf dem Weg der Identitätssuche begleitet werden. Die für die Entwicklung so wichtige soziale Interaktion in peer groups (also der Gruppe Gleichaltriger bzw. von gleichem sozialen Umfeld oder gleichen Geschlechts) findet heute nicht nur im persönlichen face-to-face-Kontakt statt, sondern teilweise (und immer stärker) auch in Social Communities. In der reflexiven Auseinandersetzung erfahren Kinder und Jugendliche vor allem voneinander über Möglichkeiten im Umgang mit den Risiken und Gefahren und deren Vorbeugung (z.B. Schutz der Privatsphäre in Social Communities).

Welche gesellschaftlichen Auswirkungen hat die intensive Nutzung der Medien durch Kinder?
    Hier erleben wir den sogenannten „generation gap“, dass nämlich viele Erwachsene (Eltern) nicht wissen, welche Medien und v.a. welche Medieninhalte von Kindern und Jugendlichen genutzt werden und dass Kinder und Jugendliche diese Medien ganz selbstverständlich nutzen, während sie für Erwachsene oft völliges Neuland bedeuten.

Eine der großen Möglichkeiten gerade des Social Webs liegt in den Chancen der aktiven Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit und damit auch von Kindern und Jugendlichen an Informationsgestaltung, Meinungsbildung und an demokratischen Prozessen. Diese Möglichkeiten werden wohl in Zukunft noch stärker an Bedeutung gewinnen, sofern es gelingt auch wirklich alle daran zu beteiligen. Das fängt bei technischen Möglichkeiten an, geht aber weit darüber hinaus und behandelt vor allem die Kompetenzen im Umgang mit Medien, welche Teilnahmemöglichkeiten eröffnen. Hier gilt es eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern (partizipation gap), in der dann die Chancen nur von wenigen genutzt werden und ein Großteil der Gesellschaft bei passiver Mediennutzung stehen bleibt.

Mit ihnen einher geht auch eine Begegnung und ein Austausch unterschiedlicher Kulturen (Convergence Cultures). Dies ist weniger ein mediales Phänomen, als ein persönlicher Zugang, aber die Medien bieten dazu das technische Rüstzeug, um Globalisierung neu zu denken.

Damit ergeben sich zahlreiche Herausforderungen mit dieser Vielfalt umgehen zu können, sich aktiv an den Prozessen zu beteiligen und kompetent die gesellschaftliche Bedeutung einzelner Angebote einschätzen und nutzen zu können (vgl. die Debatten um WikiLeaks). Unsere Kinder und Jugendlichen wachsen mit diesen Herausforderungen auf. Hier können alle Mitglieder der Gesellschaft im aktiven Austausch voneinander lernen.

Gibt es noch etwas, was du Gruppenleiter/innen mit auf ihren Weg geben möchtest?
    Gruppenleiter/innen sind Teil einer von Medien geprägten Welt und gehören oft selbst den Digital Natives an. Hier ist es wichtig einen reflexiven Blick auf die eigene Mediennutzung zu werfen, sich z.B. mit seinem eigenen Spielverhalten etc. auseinanderzusetzen, um so die Kinder besser begleiten zu können.

Wichtig ist vom/von der passiven Nutzer/in zu einem/r aktiven zu werden (Medienpartizipation). Gerade die neuen Medien (Social Web, Web 2.0) bieten auch für Kinder und Jugendliche zahlreiche Möglichkeiten kreativ mit Content umzugehen und eigene Ideen und Vorstellungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese Möglichkeiten werden meines Erachtens noch zu wenig genutzt. Ich halte es mit Henry Jenkins für wichtig, dass im schulischen wie außerschulischen Bereich Kinder auf diesem Wege in die Medienvielfalt begleitet werden und so Kompetenzen im Umgang mit Medien erwerben.

Literatur zum Thema:

  • Jenkins (2006): Confronting the Challenges of Participatory Culture. Media education for the 21st century (Englisch) (als Download im Internet)
  • Jenkins (2006): Convergence Cultures. Where Old and New Media Collide (Englisch)
  • Johnson (2006): Die neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden.
  • Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2010): JIM-Studie 2010. (Download unter www.mpfs.de/).
  • Livingstone, S., Haddon, L., Görzig, A., Ólafsson, K. (2010): Risks and safety on the internet. The perspective of European children. Initial Findings. LSE, London: EU Kids Online.
  • Hasebrink U. u.a. (2008): Heranwachsen mit dem Social Web.

aus dem kumquat "vernetzt" 1/2011