Menschen wandern. Und auch nicht.

Die derzeit gestaltete Form der Globalisierung bringt im Bereich der Migration absurde Gegensätze mit sich: Güter, Dienstleistungen und Finanzen dürfen und sollen möglichst frei und ungehindert über nationale Grenzen hinweg gehandelt und verschoben werden. Liberalisierung wird großgeschrieben. Ganz anders, wenn es um die freie Bewegung von Menschen geht. Hier gilt genau das Gegenteil: den Zuzug beschränken, je nach arbeits- und sozialpolitischer Nützlichkeit.

Menschen sind immer gewandert. Migration ist also ein Phänomen, das es immer schon gibt. Aber neu sind die Formen, das Ausmaß und die politische Dimension der Wanderungen sowie die Fragen, die sich dadurch stellen. Menschen verlassen aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Heimat: Sie hoffen, woanders ihre Lebensqualität verbessern zu können, einen besseren Job und mehr Lohn zu erhalten. In ihrer Heimat herrscht Krieg, eine Naturkatastrophe hat ihre Lebensgrundlage entzogen oder sie werden aus ihrer Heimat vertrieben, wollen woanders ein neues Leben beginnen... Armut, Vertreibung und die Suche nach Arbeit sind jedoch unzureichende Erklärungen für Migration: Wenn Armut Migration auslöst – warum wandern dann so viele Menschen, die arm sind, nicht? Warum wandern mehr Menschen aus der Türkei als z.B. aus Bangladesh, einem der ärmsten Länder der Welt?
Überhaupt wandert nur ein sehr kleiner Teil der Menschheit: Die Migration hat zwar zahlenmäßig seit den 80er Jahren stark zugenommen. Der Anteil von Menschen an der Weltbevölkerung, die wandern, ist jedoch mit 2-3% in den letzten 20 Jahren ziemlich gleich geblieben und eigentlich sehr niedrig. Wieso wandern 97% der Menschen NICHT?

Migration ist nicht einfach ein Ergebnis von Lohnunterschieden oder von ungleichen Arbeitsmärkten. Menschen wandern nicht einfach aus armen in reiche Länder. Migration ist immer gelenkt und geformt. Als es z.B. in den 60er Jahren in Westeuropa einen Bedarf an Arbeitskräften gab, wurden „Gastarbeiter“ aus Ländern wie Jugoslawien und der Türkei angeworben. Somit gibt es in Westeuropa viele Menschen, die aus diesen Ländern kommen. Das war also ein selektiver, gesteuerter Prozess. Ein wichtiges Kriterium, um seine Heimat zu verlassen, ist auch, ob es Netzwerke gibt, die die Migration erleichtern. Wenn man Verwandte oder Freund/innen hat, die bereits gewandert sind, ist es wahrscheinlicher, auch zu wandern, als wenn man diese Netzwerke nicht hat. Außerdem sind es auch nicht die Ärmsten der Armen, die wandern, denn diese könnten sich die Kosten der Migration gar nicht leisten.

Migrant/innen machen sich auf den Weg, um Veränderungen zu suchen

Viele der Gründe für Migration haben damit zu tun, das Leben verbessern zu wollen bzw. zu müssen, oft nicht für sich selber, aber für die Familie oder für die Kinder.
Was es heißt, ein „gutes Leben“ zu haben, ist sicher nicht allgemein und für alle zu sagen, aber es wird Dinge geben, die wahrscheinlich für viele Menschen auf der ganzen Welt dazugehören. Wir können uns in der Gruppenstunde überlegen, was es für uns bedeuten könnte.

Clara Handler

kumquat "mobil" 4/2007